von Quelle » Di 23. Dez 2014, 23:37
Morgen in der LVZ:
Drei Tage der Angst
Fußball-Trainer Hans-Ulrich Thomale und seine Frau Regine überlebten vor zehn Jahren den Tsunami in Thailand - "mit viel Glück"
Leipzig. Es könnten 50 Meter gewesen sein. Vielleicht auch ein paar mehr. Genau kann sich Hans-Ulrich Thomale nicht erinnern, wie weit seine Frau Regine von ihm entfernt war. Er stand noch am Strand, seine Frau war auf dem Weg zum Hotel. Thomale schaute auf den Ozean und hatte ein komisches Gefühl. Das Wasser hatte sich viel weiter als sonst bei Ebbe zurückgezogen, nur eine Schaumkrone war weit weg zu sehen. Viele Fische lagen auf dem Trockenen und wurden von besorgten Passanten in die wenigen Pfützen gelegt.
An jenem frühen Sonntagvormittag des 26. Dezember 2004 herrschte noch die gewohnte Urlaubsstimmung im Ferienressort von Khao Lak, dem Ziel vieler Thailand-Besucher. Das Ehepaar Thomale gehörte dazu. Am 6. Dezember hatte der erfolgreiche Trainer des 1. FC Lok mit vielen Freunden in Leipzig seinen 60. Geburtstag gefeiert. Die folgende Reise war lange geplant. "Wir sind Thailand-Fans", sagt Thomale.
Dann kam der Tsunami.
Mit einer riesigen Geschwindigkeit und einer zehn Meter hohen Welle. Thomale hatte keine Chance mehr, an Land zu kommen und seine Frau zu erreichen. "Plötzlich war ich unter Wasser, das alles Mögliche mitführte. Vieles davon wickelte sich regelrecht um meinen gesamten Körper und ich kam nicht mehr hoch." Er hatte Glück, dass er nicht von einem Baumstamm getroffen wurde und kein Wasser schluckte. Nach einer Weile konnte er sich von dem Geröll befreien, tauchte auf, fand Halt auf dem Boden und gelangte an eine Stelle, auf der er stehen konnte. Dort ging es leicht bergan. Thomale war splitterfasernackt, die Welle hatte ihm alles vom Leib gerissen.
Der Tsunami hatte etwa 230000 Menschen den Tod gebracht. Die Region von Khao Lak war besonders betroffen, dort waren besonders viele Opfer zu beklagen, die Zerstörungen riesig. 500 deutsche Urlauber starben dort an jenem zweiten Weihnachtsfeiertag.
"Als ich wieder oben war, wollte ich mich bemerkbar machen und um Hilfe rufen. Aber ich brachte nur ein Krächzen heraus", erinnert sich Thomale. Schließlich wurde er auf den Boden gelegt, wo auch andere, Verwundete und Tote, lagen. "Es herrschte eine unglaubliche Solidarität, auch wenn viele mit sich zu tun hatten und sich um ihre Angehörigen sorgten."
Das tat auch Thomale. Er schaute und schaute, von seiner Frau war nichts zu sehen.
Er wurde in das International Hospital von Pukhet gebracht, wo in seinem Fall die Aufmerksamkeit nach langem Warten vor allem den Schienbeinen galt. Die Haut hing herab, aber er blutete nicht. "Unter großem Stress blutet man nicht", hat Thomale gelernt. Die Wunden wurden desinfiziert, Teile der Haut weggeschnitten. "Bei vollem Bewusstsein."
Doch in Gedanken war er nur bei seiner Frau. Eine Dänin neben ihm, der es etwas besser als dem Fußball-Trainer ging, versuchte, Erkundigungen einzuholen. Vergeblich, Regine Thomale galt als vermisst. Drei Tage lang. Dann endlich kam die Nachricht, dass sie lebt. Sie war ebenfalls nach Pukhet ins Hospital gebracht worden. "Wir konnten uns kurz von Bett zu Bett zuwinken."
Weil es sie besonders schlimm erwischt hatte, gehörte sie zu den Ersten, die ausgeflogen wurden. Unter anderem waren ihre Lungenflügel gequetscht, das Becken und mehrere Rippen gebrochen.
Später wurde auch Thomale nach Köln transportiert, lag mit seiner Frau einige Wochen im Krankenhaus. "Wir hatten Glück, wir beide waren an jenem 26. Dezember 2004 noch nicht dran", sagt Thomale und nennt seine Frau "meine kleine Heldin". Es sei unglaublich, was sie durchlitten und weggesteckt hat.
Beide erholten sich, beiden geht es wieder gut. Bereits im Jahr darauf fuhren sie wieder nach Thailand. Auch um sich bei denen zu bedanken, die ihnen geholfen hatten. Nach Khao Lak reisten sie später, als alles wieder aufgebaut war. "Viele Häuser stehen wieder viel zu dicht am Wasser", findet Thomale. "Aber jetzt gibt es ja wohl ein Warnsystem, das Tsunamis rechtzeitig ankündigt."
Natürlich hat das Ereignis bei ihm Spuren hinterlassen. Weniger körperlich. "Ich kann wieder gehen und joggen. Sogar Fußball spielen." Seit dem 26. Dezember 2004 trägt er immer Schienbeinschützer.
Die Thomales haben auf dramatische Art und Weise erlebt, wie schnell das Leben vorbei sein kann. Deshalb versuchen sie, so viel wie möglich gemeinsam zu genießen und von der Welt zu sehen. "Viel werden wir bestimmt nicht hinterlassen", sagt Thomale und lacht. Zuletzt waren sie in der Dominikanischen Republik. Dort feierte er seinen 70. Geburtstag und wurde darüber informiert, dass sein 1. FC Lok zum Abschluss der Hinrunde 1:1 gegen Rot-Weiß Erfurt II gespielt hat und auf dem sechsten Platz der Oberliga liegt.
Er hat die großen Zeiten des Vereins erlebt, die Mannschaft 1987 ins EC-Finale der Pokalsieger gegen Ajax Amsterdam geführt. Darauf ist er deshalb besonders stolz, weil bis auf den Chemnitzer Hans-Richter seine Spieler fast alle aus der Leipziger Umgebung kamen. Und er ärgert sich nach wie vor, dass er 1999 in Probstheida entlassen wurde, als er nach dem Abstieg des VfB aus der zweiten Bundesliga wieder eingestiegen war und wenig später Dragoslav Stepanovic Platz machen musste. "Wir lagen auf Platz zwei, gemeinsam mit René Müller hatte ich einen Zwei-Jahres-Plan erarbeitet. Aber dann ging es nicht schnell genug und wir waren nicht mehr gefragt."
Der VfB ist nicht wieder aufgestiegen und inzwischen wieder Geschichte, doch Thomale genießt nach wie vor hohes Ansehen. Er spürte es, als ihn zahlreiche Glückwünsche zu seinem 70. Geburtstag erreichten. Kurz vor jenem Tag, an dem er vor zehn Jahren in Khao Lak irgendwie an Land kam und nach drei Tagen der Angst seine Frau wieder traf.
Winfried Wächter